Diakonie Magazin 2019/Nr. 3 herunterladen

Eine Mitarbeitende der Bahnhofsmission richtet einen Teller mit Semmelknödel, Braten und Buttergemüse an. Eine Mitarbeitende der Bahnhofsmission richtet einen Teller mit Semmelknödel, Braten und Buttergemüse an.

Abaas kennt viele Geflüchtete, die noch stärker leiden als er. Einige sind durch Depressionen gelähmt oder stark traumatisiert. Abaas versucht ihnen zu helfen, für sie da zu sein.

»Es ist nicht gut, nur an sich zu denken – wir sind alle Menschen für Menschen.«

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Freude zu Besuch ANNA THIEL

Hauptsache zuhören

Vor 28 Jahren hat Ingrid Reise über die Zeitung von dem gemeinnützigen Verein erfahren und sich sofort angesprochen gefühlt. In ihrer Arbeit muss man Verständnis zeigen, Anteil nehmen und vor allem zuhören können. Reise erinnert sich und lacht: »Ältere Menschen haben mir immer viel erzählt, ich dachte, das passt gut«. Als Vorsitzende des Vereins laufen bei ihr die Fäden zusammen. Aufgaben wie Informationsgespräche mit Interessierten delegiert sie auch an andere Mitglieder im Vorstand, um trotz ihrer Position möglichst viel Zeit mit den Menschen zu haben.

Viele Patienten*innen sehe man nur einmal, da die Pflegezeiten in den Krankenhäusern kurz seien. Da gehe es meist um akute Notlagen, wie fehlende Kleidung oder Botendienste. Von Spenden werden sowohl Kindern als auch Erwachsenen kleine Freuden bereitet, etwa durch Bücher oder Obst. »Einer jungen, sozial schwachen Familie haben wir bei den Kosten für die MobiCard unter die Arme gegriffen, damit sie regelmäßig ihr schwerkrankes Kind besuchen kann«, erzählt Ingrid Reise. Für Angehörige und ambulante Patienten*innen von außerhalb stellen einige Vereinsmitglieder außerdem preiswerte Privatzimmer zur Verfügung – und ein offenes Ohr.

Die Mitglieder des Vereins sind überwiegend pensioniert – sie bringen Lebenserfahrung mit, strahlen Ruhe aus und sind flexibel. »Wir müssen uns nach den Patienten*innen richten und nicht umgekehrt«, betont Reise.

Drei Frauen sind im Außenbereich der Diakonie Sophienstraße ins Gespräch vertieft. Eine Frau sitzt in ihrem Rollstuhl, während eine andere ihr gegenübe rauf einer Bank sitzt. Die dritte Frau steht hinter der Bank.

Zeit schenken

Ingrid Reise (r.) und Monika McCord (m.) zu Besuch bei Berta Schmidt in der Diakonie Sophienstraße. McCord ist seit sieben Jahren aktiv im Verein. Seit drei Jahren besucht sie Berta Schmidt. Die 96-Jährige ist dankbar für die gemeinsamen Spaziergänge, die Abwechslung und die Zeit, die Monika McCord ihr schenkt.

Von der Seele reden – für die Seele reden

Nach schweren Unfällen oder bei schwerwiegenden Erkrankungen begleiten Ingrid Reise und ihr Team Patienten*innen auch über einen längeren Zeitraum. Es gebe einige Stammgäste, z.B. unter Herzkranken, die auf eine Organspende warten. »Da bekommt man die tollsten Geschichten erzählt«, schwärmt Reise, »vom Bauernhof und der Ernte im Sommer«. Sie mag es, Menschen kennenzulernen. Wenn eine/r am Ende sagt »schön, dass sie da waren«, macht sie das glücklich: »Das Lächeln der Patienten ist etwas Wunderschönes«. Aber die Arbeit ist nicht nur leicht: »Natürlich tut es weh, wenn man zu Besuch kommen möchte und ein Kopfschütteln bekommt«. Dass ein/e Patient*in nach einem langen Leidensweg loslässt und stirbt, gehört für Reise dazu.

Die Menschen, die die Mitglieder besuchen, befinden sich in schwierigen Lebensphasen. Besondere Situationen lösen besonderen Redebedarf aus, weiß Reise aus Erfahrung: »Patienten, die lange krank sind, haben auch mit Depressionen zu kämpfen«. Die Mitglieder des Klinikbesuchsdienstes nehmen daher regelmäßig an Seminaren teil und werden geschult, beispielsweise in Gesprächsführung. »Niemand ist hier auf sich allein gestellt«, betont die Vorsitzende. Manchmal ist es auch Ingrid Reise, die erzählt: In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie besucht sie auch Menschen, die nach einem Eingriff oft zeitweise nicht mehr sprechen können. Mit ihnen geht sie z.B. auf Gedankenreise woanders hin, wo es schön ist.

Ingrid Reise, eine ältere Frau mit kurzgeschnittenen grauen Haaren vor einem blühenden Strauch.

Ingrid Reise

ist seit sieben Jahren Vorsitzende des Klinikbesuchs ­ dienstes (r.). Ihren Vorsitz hat sie Ende Juli abgegeben, um selbst wieder mehr Besuche zu machen.

Entlastung für Angehörige

Rund 1.300 Mal waren die Mitglieder im Jahr 2018 im Einsatz und konnten so über 2.000 Menschen helfen. Häufig sind es ältere Menschen, die sonst niemanden mehr haben, der sie besucht oder Patienten*innen, deren Angehörige zu weit weg wohnen. »Familien sind heute ja über die ganze Welt verstreut«, beobachtet die Vorsitzende. Im Juli hat sie ihren Vereinsvorsitz abgegeben. Sie möchte ihren Schwerpunkt wieder auf die Besuche legen.

Besonders am Herzen liegt Ingrid Reise die Kinderklinik. Hier engagieren sich auch mehrere Medizinstudenten*innen. Und die Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst klappt gut. Wenn schwerkranke Kinder über einen längeren Zeitraum in der Klinik bleiben müssen und es noch Geschwister gibt, ist es schwierig für die Eltern, allen gerecht zu werden. »Unsere Besuche entlasten«, weiß Reise. 

Drei ältere Frauen im Außenbereich der Diakonie Sophienstraße. Eine Frau im Rollstuhl, hinter ihr zwei weitere Frauen. Im Hintergrund die Grünanlage und Fensterfront des Pflegeheims.

Klinikbesuchsdienst e.V.

Rund 1.300 Mal waren die Mitglieder im Jahr 2018 im Einsatz und konnten so über 2.000 Menschen helfen. Häufig sind es ältere Menschen, die sonst niemanden mehr haben, der sie besucht oder Patienten*innen, deren Angehörige zu weit weg wohnen.

»Familien sind heute ja über die ganze Welt verstreut«, beobachtet die Vorsitzende. Im Juli hat sie ihren Vereinsvorsitz abgegeben. Sie möchte ihren Schwerpunkt wieder auf die Besuche legen. Besonders am Herzen liegt Ingrid Reise die Kinderklinik. Hier engagieren sich auch mehrere Medizinstudenten*innen. Und die Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst klappt gut. Wenn schwerkranke Kinder über einen längeren Zeitraum in der Klinik bleiben müssen und es noch Geschwister gibt, ist es schwierig für die Eltern, allen gerecht zu werden. »Unsere Besuche entlasten«, weiß Reise. Engagierte Mitglieder werden laufend gesucht, der Bedarf ist hoch.

Klinikbesuchsdienst e.V.​​​​​​​


Ein neues Haus für die Diakonie

Es ist ein großes Projekt, das die Diakonie Erlangen derzeit plant. Nun konkretisieren sich die Zukunftspläne. Grund genug, genauer nachzufragen bei Pfarrer Matthias Ewelt, Vorstandssprecher der Diakonie Erlangen, und Frauke Lilienweiß, Geschäftsführerin der Diakonie Erlangen Pflege gGmbH. Ein Interview.

Herr Ewelt, es soll ein neues Haus für die Diakonie Erlangen entstehen – was genau ist geplant?

Ewelt: Bewohner*innen und Mitarbeitende können sich auf ein neues Haus in einem nahegelegenen, neu entstehenden Stadtquartier ab 2021/22 freuen. Hier soll ein Wohn- und Pflegezentrum der Diakonie entstehen mit integrierter stationärer Pflege, betreutem und beschütztem Wohnen sowie einem Hospiz. Wir wollen das Haus durch ein gutes Quartiersmanagement eng mit der Nachbarschaft vernetzen und gegebenenfalls weitere diakonische Angebote in Zukunft dort vorhalten.

Matthias Ewelt

Pfarrer, Vorstandssprecher Diakonie Erlangen

Das hört sich nach einem großen Projekt an! Was ist denn der momentane Entwicklungsstand?

Lilienweiß: Derzeit läuft die städtebauliche Planung für das Gesamtquartier. Ein Teil des Geländes ist für unser Projekt vorgesehen. Mit dieser Perspektive kann die Diakonie Sophienstraße in etwa drei Jahren aus der bisherigen Immobilie aus- und in das neue Haus einziehen.

Was bedeutet das für die Mitarbeitenden und vor allem die Bewohner*innen in der Diakonie Sophienstraße?

Ewelt: Die Bewohner*innen der stationären Pflege werden in jedem Fall im neuen Haus einen Platz haben. Wir planen eine nahtlose Anschlussversorgung unserer Klienten*innen. Wir freuen uns auch, wenn die Bewohner*innen des Betreuten Wohnens das neue Angebot annehmen, falls sie umziehen wollen. Sie bekommen bevorzugt eine von uns betreute Wohnung im neuen Quartier.

Lilienweiß: Wir haben Erfahrung in diesem Bereich. Bereits 2017 sind wir mit einer stationären Altenhilfeeinrichtung erfolgreich umgezogen: das Karl-Heller-Stift in Röthenbach an der Pegnitz. Da gab es vorab viele Ängste und Sorgen, aber der Umzug lief reibungslos. Heute sind sowohl unsere Bewohner*innen, als auch unsere Mitarbeitenden sehr zufrieden. Sie freuen sich über das tolle, neue Haus und profitieren von seiner modernen Ausstattung. Gerade die Gartenanlage drum herum und die hellen, großzügigen Zimmer begeistern unsere Bewohner*innen. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass auch der Umzug in Erlangen gut läuft.

Frauke Lilienweiß

Geschäftsführerin Diakonie Erlangen Pflege gGmbH

Ewelt: Natürlich brauchen wir an dem neuen Standort unser gesamtes Team. Deshalb wünschen wir uns, dass alle unsere Mitarbeitenden aus der Diakonie Sophienstraße mit ins neue Haus umziehen. Wir brauchen sie persönlich, aber auch fachlich, damit das neue Wohn- und Pflegezentrum erfolgreich weiterentwickelt und ab 2022 mit Leben gefüllt werden kann.

Ein straffer Zeitplan! Warum muss alles so schnell gehen?

Lilienweiß: Für unsere Immobilie an der Sophienstraße läuft der Mietvertrag aus. Mit Blick auf die baulichen Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes waren wir aber ohnehin angehalten, früher oder später eine neue Lösung zu suchen. Die Pflegeeinrichtung in der Sophienstraße ist aber eine ganz wichtige für uns. Deshalb wollen wir diese auf keinen Fall aufgeben, sondern weiter fortführen. Daher haben wir frühzeitig nach einem neuen, geeigneten Standort in Erlangen gesucht, an dem unsere Einrichtung eine gute Zukunft hat.

Vielen Dank für das Interview, wir informieren unsere Leser*innen weiterhin über den Projektverlauf.

Interview: Anna Thiel.

 


Wir sind alle Menschen Anna Thiel

Abaas traumatische Erlebnisse stecken tief: Schon mehrere Generationen seiner Familie leben im Krieg, haben Angehörige und Freunde verloren und leiden unter ständiger Angst. »Jeder trägt eine Waffe«, erzählt Abaas. »Wenn man aber nicht kämpfen und töten will, was soll man machen?«. Seine Mutter habe darauf bestanden, dass er Sicherheit und Freiheit suche, anstatt gegen den IS aufs Schlachtfeld zu ziehen.

Ein junger Mann in Sportbekleidung steht vor einem Wellblechcontainer. Hinter ihm befinden sich zwei Plastikstühle.

Also wagte sich Abaas übers Meer. In einem geschlossenen LKW ging es weiter und schließlich tagelang zu Fuß durch dunkle Wälder. Abaas hat die Bilder noch vor sich, wenn er die Augen schließt: Militärs patrouillieren an Grenzen, Kinder schreien. Seinen Schlafsack gab er auf der Flucht an eine Familie weiter, die ihn nötiger brauchte. Nicht alle haben es geschafft. »Es war wie ein Horrorfilm«, erzählt Abaas. Immer wieder hätten sich auf dem Weg Flüchtlingsgruppen neu sortiert. Er habe immer versucht, anderen zu helfen, »aber in gefährlichen Situationen entscheidet jeder für sich allein«. Er berichtet von Übergriffen im serbischen Gefängnis, die ihn schockiert hätten, dachte er doch, willkürliche Gewalt gäbe es in Europa nicht. »Aber alle spielen mit den Menschen«. 3000 Euro hat Abaas für Schlepper bezahlt. »Ohne die geht es nicht.«

Integriert und doch fremd

Inzwischen hat Abaas in Deutschland Fuß gefasst, hat Freunde und eine Arbeit gefunden. »Am Anfang habe ich viel Radio gehört, um Deutsch zu lernen«, erzählt der reflektierte, junge Mann mit den freundlichen, offenen Augen. Er liebt es, Joggen zu gehen und zu schwimmen.

Ein junger Mann mit T-Shirt und Jogginghose steht vor einer geöffneten Tür.

Abaas

hat Freunde und eine Arbeit gefunden. Er mag es nicht, als Flüchtling abgestempelt zu werden: »Ich bin einfach Mensch«. Im Irak hat er Kindern Nachhilfe gegeben, auf der beschwerlichen Flucht Frauen und Kindern geholfen. Das Soziale ist ihm wichtig – auch das Verhältnis von Deutschen und Ausländern*innen. »Man lernt doch auch voneinander«.

Dennoch weiß Abaas, wie sich Heimweh anfühlt. »Man ist und bleibt fremd. Wie mit schmutziger Kleidung in einem Konzert: Niemand kennt dich, aber alle schauen«. So fühle er sich manchmal – »aber ich lebe!«. Es sei auch schwierig, nicht frei entscheiden zu können, was man machen möchte. So habe er Chefs erlebt, die keine Ausländer*innen wollen oder nur dann, wenn sie weniger kosten. Abaas würde gern studieren. Die dafür nötige DSH (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang) hat er schon bestanden. Sein Abiturzeugnis wurde anerkannt, seine irakische Ausbildung zum Teil: Vier Monate Praxiserfahrung und Kundenkontakt möchte er nun nachholen, damit sein »Technical Diploma in Accounting« auch hier gilt.

Diakonie unterstützt

»Ich mag Diakonie«, sagt Abaas. Als er noch keine Arbeit hatte, habe ihm die KulturTafel ermöglicht, Konzerte und Theateraufführungen zu besuchen. »Man muss versuchen, es sich auch im Kopf schön zu machen«. Unterstützung kommt auch von Alexandra Bendrich, Mitarbeiterin der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Diakonie Erlangen. Abaas hat Freunde und eine Arbeit gefunden. Er mag es nicht, als Flüchtling abgestempelt zu werden: »Ich bin einfach Mensch«. Im Irak hat er Kindern Nachhilfe gegeben, auf der beschwerlichen Flucht Frauen und Kindern geholfen. Das Soziale ist ihm wichtig – auch das Verhältnis von Deutschen und Ausländern*innen. »Man lernt doch auch voneinander«. Dreimal pro Woche ist sie in einer Sprechstunde für Abaas und die Menschen, die mit ihm im Container leben, da. Bendrich berät in allen Lebensbereichen, ob in Fragen zum Asylverfahren, zu Sprachkursen oder bei persönlichen Problemen – zum Teil mit Hilfe von Übersetzern*innen. »Ziel ist es, den Menschen dabei zu helfen, eine tragfähige Perspektive für ihr weiteres Leben zu entwickeln«, so die 51-Jährige, »besonders wichtig ist eine Beschäftigung für alle«. Darüber hinaus sei der Zugang zu professioneller psychotherapeutischer Hilfe schwierig und mit langen Wartezeiten verbunden.

Voneinander lernen

Abaas kenne viele Geflüchtete, die unter ihrer Situation noch stärker litten als er. Es sind Leute, die auch schon länger hier sind, aber es nicht geschafft haben, so schnell Deutsch zu lernen, die Bürokratie zu bewältigen oder eine Arbeit zu finden. Einige sind durch Depressionen gelähmt oder stark traumatisiert und betäuben sich mit Drogen. »Sie sind fertig«, ohne Hoffnung. Abaas versucht ihnen zu helfen, für sie da zu sein. »Es ist nicht gut, nur an sich zu denken – wir sind alle Menschen für Menschen«.

 Zur Flüchtlings- und Integrationsberatung

 


Halt und Kraft geben Anna Thiel

Beim Essen beginnt er zu erzählen: »Ich war immer fröhlich, aktiv und für jeden Spaß zu haben«. Seine Freunde*innen habe er regelmäßig beim Sport und in der Stadt getroffen. Dank einer Reha nach dem ersten Schlaganfall habe er sich schnell zurück ins Leben gekämpft. Dann kam der Schock: Nach gerade einmal anderthalb Monaten überraschte ihn der zweite Schlaganfall. »Da habe ich Angst bekommen!« Seither leidet er unter Depressionen, psychosomatischem Drehschwindel und Angstzuständen. Schon mehrere Magengeschwüre hat er durch, so dass er manchmal tagelang weder Appetit noch Hunger hat. Sein linker Arm ist taub und auch der rechte funktioniert nur noch fürs Grobmotorische. Die Krankheit hat ihn erwerbsunfähig gemacht.

Ein Mann und eine Frau stehen nebeneinander in einem Wohnzimmer. Der Mann trägt ein ärmelloses T-Shirt und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Die Frau hat ein blaues Oberteil und einen bunten Rock.

Alamgir Kazi

erhält seit über sieben Jahren Unterstützung von Sozialpädagogin Susanne Ehlers*. Auf ihre Besuche zweimal die Woche kann er sich verlassen. Seine Krankheit macht es ihm schwer, private soziale Kontakte zu knüpfen.

Individueller Hilfeplan

Hilfe bekam Kazi glücklicherweise schnell, als er psychisch krank wurde. Mehrfach war er stationär in der Kopfklinik untergebracht und wurde auch ambulant psychotherapeutisch behandelt. Seit Anfang 2012 unterstützt ihn Susanne Ehlers*. Sie betreut Menschen bei der Diakonie Erlangen im Persönlichen Budget. Gemeinsam mit dem Bezirk Mittelfranken als Kostenträger hat Kazi einen Hilfeplan entwickelt, in dem die Ziele formuliert sind. »Es geht darum, dass er die Hilfe bekommt, die zu ihm passt und die er möchte«, so Ehlers*. Die Sozialpädagogin begleitet ihn zu Ärzten*innen, hilft bei der Suche nach einer regelmäßigen Tätigkeit und hört ihm zu. Ohne die Unterstützung von Ehlers*sei sein Leben viel schwieriger.

Einsamkeit, die belastet

Dass Kazis Freunde*innen sich so schnell von ihm abgewandt haben, bedrückt ihn. Gemeinsam haben Ehlers* und er auch schon Kontaktanzeigen aufgegeben. Kazis größter Wunsch sei eine Partnerin. Die Einsamkeit mache ihn krank. »Das ist kein Zuckerschlecken als erwachsener Mann«, sagt er. »Ich bin ein Familienmensch.« Aufgewachsen ist Kazi in einer Großfamilie, hat drei Kinder aus einer Ehe, die die Schicksalsschläge nicht gepackt hat. »Das ist ein riesen Abgrund«, gesteht er. Kazi ist sich sicher: Wenn da jemand wäre, mit dem er gemeinsam kochen, essen, spazieren gehen und sich unterhalten könnte, wäre vieles besser. Die wenigen Stunden pro Woche, in denen die Sozialpädagogin für ihn da ist und eine Haushaltshilfe ihn besucht, können das nicht ersetzen.

Glaube und Menschenwürde

Auch Alltägliches, wie Behördengänge, fallen schwer. Auf dem Amt fühle sich Kazi oft nur wie eine Nummer. »Die Menschenwürde ist unantastbar«, so stehe es doch geschrieben, »aber die habe ich schon auf der ersten Treppenstufe des Sozialamts verloren«. Vielleicht fällt es ihm auch deshalb so schwer, weil früher alles anders war: Kazi hat Betriebswirtschaft studiert und viele unterschiedliche Jobs gehabt. »Man muss sich für keine Tätigkeit schämen« findet er, »ich habe die Arbeit nie gescheut«.

Trotz seiner körperlichen und psychischen Einschränkungen hätte er gern wieder eine Beschäftigung – nicht nur wegen des Geldes. Auch weil er weiß, dass seitens der Familie in Bangladesch Erwartungen vorhanden sind. »Sie denken, er lebt in Deutschland und hat viel Geld«, weiß Ehlers*. Kazi zuckt hilflos mit den Schultern: »Dabei bin ich bei vielem selbst auf Spenden angewiesen«. In der Zeit, die er allein zu Hause verbringt, drehen sich seine Gedanken um Gott und die Welt. Viele Ideen, wie man das Zusammenleben gestalten und die Umwelt besser schützen könnte, sind daraus entstanden. Auch die verschiedenen Religionen interessieren ihn schon immer. Er sei schon alles gewesen – Buddhist, Muslim, Christ und so weiter – und findet Halt in seiner Erkenntnis: »Da ist nur einer: Wir haben alle den gleichen Gott«.

*Name geändert

Zur den Hilfen für Menschen mit seelischer Erkrankung

 


Meine Ruhe, ein Geschenk Anna Thiel

Dort ist die 55-Jährige für die Senioren*innen und ihre Angehörigen ansprechbar, aber auch für Mitarbeitende. Ihr Angebot wird viel genutzt. »Dass ich einfach da bin, hilft – auch für unverbindliche Gespräche zwischendurch; manche sprechen mich lieber unbeobachtet von anderen an«, stellt Dorothee Tröger fest. Ihre halbe Stelle ist drittmittelfinanziert von der Diakonie und der Landeskirche.

Ein Mann im Rollstuhl und zwei Frauen sitzen an bzw. auf einer Bank. Sie befinden sich auf einem gepflasterten Platz, im Hintergrund sind Bäume.

PFARRERIN DOROTHEE TRÖGER (r.)

Zeit zum Hin- und Zuhören

»Die Seelsorge ist nicht mit mir in die Diakonie eingezogen«, betont die Pfarrerin. Viele Mitarbeitende hätten den nötigen Blick und das Herz am rechten Fleck. Aber bei alten Menschen dauere vieles einfach länger und für manche sei die Verständigung ein richtiger Kraftakt. Zum Beispiel, wenn das Sprechen nach einem Schlaganfall kaum mehr möglich ist. In Eile kommt da auch mal der Gedanke auf »Was will er denn jetzt noch«, auch wenn der Bewohner nur etwas Nettes sagen wollte. Pflegekräfte und vielbeschäftigte Angehörige hätten einfach nicht immer die nötige Zeit, lange zu warten. Tröger dagegen ist in ihrer Arbeit sehr flexibel und auch ihre angenehme, geduldige Art hilft – sie kann so lange zuhören, bis ihr Gegenüber spürt, verstanden worden zu sein. Dafür ist sie selbst sehr dankbar: »Meine Ruhe ist Gottes Geschenk«.

Die neuen Bewohner*innen haben oft sehr mit der Veränderung zu kämpfen: »Meistens sind sie noch stark mit sich befasst«, weiß die Seelsorgerin, »sie hoffen, das werde schon wieder und wollen erstmal ihre Ruhe«. Häufig biete sich die Gelegenheit zum Gespräch beim zweiten Treffen. Und dann habe man oft lange miteinander zu tun. »Wenn es dann mal Krisen gibt, reicht es oft, denjenigen daran zu erinnern, was er oder sie sonst schon alles im Leben geschafft hat« – von schweren Krankheiten über Verluste geliebter Menschen bis hin zu Fluchtgeschichten ist alles dabei. Oft stärke das den alten Menschen den Rücken und aktiviere wieder Kräfte.

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch und trinken Kaffee. Auf dem Tisch steht eine Vase mit Blumen.

Kirche, die zu einem kommt

»Geteilter Glaube – geteilte Klage« sagt Dorothee Tröger, denn auch sie könne Gott manchmal nicht verstehen. Allein ihr Amt als Pfarrerin bewirke aber, dass man über Sinnfragen reden könne. Die Brücke zwischen Kirchengemeinden und Diakonie als tätiger Kirche ist ihr wichtig. Neben jenen, die regelmäßig in ihre Gottesdienste kommen und solchen, die mit Glaube nicht viel zu tun haben, hat sie es auch mit Menschen zu tun, die der Kirche skeptisch gegenüberstehen. Wenn es heißt »Na endlich kommt mal einer«, empfindet Tröger das als Chance. Sie sieht sich als »Kirche, die zu einem kommt«. »Na Ihnen kann ich’s ja sagen«, hört sie etwa von Menschen, die in Konfliktsituationen stecken – mit anderen oder sich selbst. Auch Scham spiele eine große Rolle, wenn es darum geht, über Persönliches zu sprechen. Es komme nicht selten vor, dass in Familien manche nicht mehr miteinander sprechen. Wenn die Fronten festgefahren sind, bietet Tröger an, Familiengespräche zu begleiten. Als Seelsorgerin kennt sie oft beide Seiten, aber sie ergreift dann nicht Partei, sondern setzt sich dafür ein, dass sich beide Seiten gehört fühlen. Sie wäre gern öfter Mittlerin innerhalb der Familien oder zwischen Angehörigen und Mitarbeitenden. »Aber darauf müssen sich alle Beteiligten einlassen.«

Dorothee Tröger unterliegt als Pfarrerin der Schweigepflicht. Gerade für Mitarbeitende sei dieser Schutz wichtig: »Sie können ihre Emotionen einfach über mir auskippen ohne Sanktionen befürchten zu müssen«, das schaffe Vertrauen. »Meistens äußern sie sich erst vorsichtig«, stellt Tröger fest, »da fordere ich sie auch mal heraus, ihrem Ärger oder ihrer Überforderung richtig Luft zu machen«. Denn es ist wichtig, sich manches von der Seele reden zu können.

Nochmal richtig leben

Politische Diskussionen zur Situation in der Pflege beobachtet Tröger laufend. Den Grundsatz »ambulant vor stationär« sieht sie kritisch. Die Senioren*innen seien in den Pflegeeinrichtungen größtenteils viel besser ins Leben und die Gemeinschaft eingebunden als zu Hause. Die Pflegekräfte seien gut ausgebildet, kompetent und erfahren. »Das wird von der Politik krass ignoriert. Manche Menschen blühen durch die Betreuung hier richtig auf«. »Die Menschen können hier nochmal richtig leben«, das hat sie oft erlebt. »Und weil die Angehörigen von der Pflege entlastet werden, können sie dann für die schönen, besonderen Momente rundherum sorgen«, weiß Tröger.

Abschied nehmen

Die körperlichen Berührungen in der Pflege sind oft funktionell. »Wenn ich jemandem einen Segen gebe und die Hand auf den Kopf lege, ist das eine ganz andere Berührung«, so Tröger. Wenn ein Mensch verstirbt, den sie begleitet hat, bietet sie eine Aussegnung an, einen Segen auf der Schwelle: »Ein letzter Liebessegen«, wie sie sagt. Auch für Angehörige ist ihre Anwesenheit in der Sterbephase und nach dem Tod eines geliebten Menschen eine Stütze. Manche merken da erst richtig: »Die hat die Oma echt gemocht und gekannt«. »Kirche ist da«, sagt Tröger, »in der Diakonie.«

Zur stationären Altenhilfe

 

Kontakt

Pressesprecherin Sabine Stoll

Sabine Stoll Pressesprecherin, Leiterin Unternehmenskommunikation

Raumerstraße 9
91054 Erlangen

(0911) 35 05 – 154

sabine.stoll@diakonie-erlangen.de

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