Trotz Maske kein Blatt vor dem Mund: Tag der Pflege in Mittelfranken 2021

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Eine starke Interessensvertretung ist notwendig

»Ich brauche eine Vertretung der Pflegenden ähnlich wie die Ärztekammer.« Mit einem Appell schloss Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, der Pflege-Bevollmächtigte der Bundesregierung, die Diskussion. »Sie sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Sie müssen mehr Druck machen, indem Sie sich untereinander stärker solidarisieren.«

Zuvor hatten sechs Auszubildende stellvertretend für rund 2.000 angehende Pflegekräfte in Mittelfranken engagiert deren Anliegen vorgetragen. Corona-bedingt konnte die Podiumsdebatte am Tag der Pflege nicht vor Publikum stattfinden. Doch etwa 250 Zuschauer*innen verfolgten auf Youtube den Livestream aus dem Nürnberger Presseclub und tauschten sich eifrig im Livechat aus. Die Aufzeichnung wurde in der ersten Woche fast 1.250 Mal angesehen.

Das Gespräch, an dem auch Mittelfrankens Bezirkstagspräsident Armin Kroder teilnahm, gliederten kurze Videos, die die Auszubildende selbst gedreht hatten. Gleich zum Auftakt rappten Pflegeschüler*innen aus dem Erlanger Waldkrankenhaus in einem Wortspiel: »Euren Applaus könnt ihr euch spahn!« Und im Film, den das Rote Kreuz beisteuerte, liegt am Ende die Pflegerin zusammengebrochen auf dem Boden; in die ausgestreckte Hand bekommt sie eine Pralinenschachtel und einen Geldschein gedrückt.

»Niemand hat sich über den Applaus beschwert«, fasste dies Maximilian Streit, Pflegeschüler im 3. Ausbildungsjahr, noch einmal in Worte. »Aber es ist nicht viel gefolgt, vor allem in der zweiten und dritten Welle der Pandemie.« Dem konnte Armin Kroder nur zustimmen: »Das habe ich auch so wahrgenommen.« Und er forderte eine höhere Besoldung, »nicht nur einen Mindestlohn«. Diese müsse mit gesetzlichen Vorgaben oder durch flächendeckende Tarifverträge durchgesetzt werden. Eine Pflicht zur Tarifbindung schreibt inzwischen ein Gesetzentwurf zur Pflegereform vor, über die der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode entscheiden soll.

In diese Richtung zielte auch Jakob Ludwig. Er findet sich als Auszubildender gut bezahlt und auch die Fachkräfte verdienten nicht schlecht. »Was man aber angehen sollte, ist die Angleichung der privaten Anbieter an die tarifgebundenen.«

Die Vergütung ist nicht das Kernproblem

Insgesamt war die Vergütung in der Diskussion, die von Caritas-Vorstand Michael Groß aus dem Nürnberger Land moderiert wurde, aber nicht das Schwerpunktthema. Beklagt wurde eher der Personalmangel. Er sei die Ursache für den Zeitdruck, der in den Videos der Auszubildenden in Szene gesetzte wurde. »Da muss man schauen, dass sich der Stress nicht auf die Bewohner überträgt«, berichtete Annika Artelt. »Gerade die Demenzkranken empfinden das sehr deutlich.«

Ihre Kollegin Susanne Hofmann-Fraser ergänzte, dass es oft bis zu einem Jahr dauere, bis eine freigewordene Stelle nachbesetzt sei. Und sie stellte die Frage: »Muss denn eine Fachkraft Betten beziehen?«

Wer was mit welcher Qualifikation tut, ist für Andreas Westerfellhaus ein entscheidender Punkt. Als Beispiel nannte er die Wundmanagerin. Sie habe eine hohe Kompetenz, aber kein Budget, um Therapien zu verordnen. »Wir wollen daher die Aufgaben zwischen den Berufen neu verteilen«, kündigte er an. Damit hofft er auch die rund 180.000 Berufsaussteiger*innen in Deutschland zurückzugewinnen.

Einen anderen Vorschlag unterbreitete Mandy Reichenbächer: Man solle eine 30-Stunden- oder eine 4-Tage-Woche einführen. Auch dafür gibt es laut Westerfellhaus bereits Modelle. Allerdings sperrten sich noch die Pflegekassen.

Den starren Schichtbetrieb flexibilisieren will Armin Kroder. Als oberster Dienstherr der Bezirkskliniken weiß er: »Ein attraktiver Arbeitgeber muss berücksichtigen, dass seine Beschäftigten auch andere Aufgaben und Bedürfnisse als den Beruf haben.« Dafür hatte dann Theresa Batzel eine Anregung: Bei jedem Altenheim und Krankenhaus sollte es einen Betriebskindergarten geben.

Die Diskussion organisiert hatte die Bezirksarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege im Bezirk Mittelfranken. Ihr gehören der AWO Bezirksverband Ober- und Mittelfranken, das Bayerische Rote Kreuz, die Caritas in Mittelfranken, Der Paritätische in Mittelfranken, die Diakonie Bayern und die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg an.

Die Aufzeichnung des Gesprächs ist zu sehen auf www.wir-pflegen-franken.de/live.  Dort sind auch alle 16 Filme zu sehen, die die Auszubildenden in der Pflege gedreht haben - und hier das Video der Auszubildenden des Nürnberger Christian-Geyer-Heims und der Erlanger Diakonie am Ohmplatz.

Hilfe im Leben – Diakonie Erlangen