Jugendwerkstatt Erlangen: Forderung nach stabiler Finanzierung – Ein Fundament fürs Leben

Trotz guter Konjunktur und vieler unbesetzter Lehrstellen auf dem Arbeitsmarkt zu Beginn des Ausbildungsjahres brauchen immer mehr Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag die Hilfe der Jugendwerkstatt Erlangen: Die Einrichtung der Diakonie Erlangen verhilft jungen Menschen ohne Ausbildungsplatz zu einem Berufsabschluss. Weil 2020 von der wichtigsten Finanzierungsquelle, dem Europäischen Sozialfonds, extreme Kürzungen zu erwarten sind, steht Einrichtungsleiter Wolfgang Gremer vor einer großen Herausforderung.

Forderung nach stabiler Finanzierung

Die Jugendwerkstatt Erlangen finanziert sich aus mehreren Töpfen: Die Bayerische Staatsregierung, das Jugendamt der Stadt Erlangen, die Evangelische Landeskirche Bayern und die GGFA AöR Erlangen (»Options-Kommune«) fördern das Projekt. Einen Teil der Kosten tragen die Stadtmission Nürnberg und die Diakonie Erlangen. Etwa 20 Prozent des Haushaltsvolumens erzielt die Jugendwerkstatt außerdem durch Erlöse aus Auftragsarbeiten.

2020 läuft die Förderung des wichtigsten Zuschussgebers, des Europäischen Sozialfonds (ESF), aus. Aus dem geplanten Sozialfonds-Projekt zur Anschlussfinanzierung wird dann deutlich weniger Geld fließen. Einrichtungsleiter Wolfgang Gremer sucht mit Hochdruck neue Einnahmequellen, um die Lücke zu stopfen: »Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir die zukünftige Finanzierung der Jugendwerkstatt auf mehr Schultern zu verteilen«. Er habe intensive Verhandlungen mit den Kommunen der gesamten Metropolregion Nürnberg und mit Vertretern der Jobcenter und Agenturen für Arbeit aufgenommen. »Verstärkt suchen wir auch Kontakt zu verschiedenen Stiftungen und potentiellen Geldgebern für eine institutionelle oder auch Einzelfallförderung«, erklärt Gremer. Dennoch ist die Finanzierung für die Zukunft alles andere als gesichert: »Da es sich meist um Projektförderungen handelt, bin ich laufend damit beschäftigt, neue Mittel zu beantragen und einen funktionierenden Finanzierungsmix zu schaffen«. Gremer fordert daher eine stabile Finanzierung von Jugendhilfe-Werkstätten. Er sieht hier vor allem den Freistaat Bayern in der Pflicht.

Jugendwerkstatt fördert Chancen

Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist derzeit sehr gering, der Fachkräftebedarf hingegen hoch. Die Jobsuche, so scheint es, sollte in diesen Zeiten so einfach sein wie nie. Vor diesem Hintergrund ist der  Druck auf Jugendliche, einen Ausbildungsplatz und Arbeit zu finden, enorm gestiegen. Doch 80.000 junge Menschen finden jährlich keinen Platz in einem normalen Ausbildungsbetrieb, trotz freier Lehrstellen. 14 Jugendliche werden aktuell in der Jugendwerkstatt der Diakonie Erlangen zu Schreiner/innen und Fachpraktiker/innen für Holzverarbeitung ausgebildet. Sie alle haben entweder keinen Platz in gewerblichen Betrieben gefunden oder ihre dortige Ausbildung nicht geschafft: »Niedriges Arbeitstempo, mangelnde Zuverlässigkeit, Traumata, Sprachbarrieren und vieles mehr« benennt Einrichtungsleiter Wolfgang Gremer als Gründe. Manchmal reiche es schon aus eine Frau zu sein, der man(n) den Schreinerberuf nicht zutraut. »Unsere jungen Leute haben teilweise schwerwiegende Biografien und ernste psychische Belastungen, die sie als ‚Rucksack‘ mit sich herumtragen«, so Gremer. Die Jugendwerkstatt gebe ihnen eine Chance auf eine strukturierte Basis für ihr Leben.

Pädagogische Fachkräfte leisten biografische Einzelarbeit

Die Vermittlung der Lehrinhalte ist in der Jugendwerkstatt stark individualisiert. Viele Jungen und Mädchen leiden unter Problemen, die von drohender Obdachlosigkeit bis hin zur Spielsucht reichen. Das Team der Ausbildungswerkstatt braucht deshalb besondere Fähigkeiten. »Die biografische Einzelarbeit mit unseren jungen Erwachsenen braucht Feinfühligkeit und große Empathie seitens der pädagogischen Fachkräfte«, erklärt Einrichtungsleiter Wolfgang Gremer. Auch bei den Ausbildern ist gesteigerte Aufmerksamkeit gefragt, denn das Berufsfeld birgt erhöhte Gefahren: Bei der Arbeit an diversen Maschinen kann man sich leicht verletzten.

Die Mitarbeitenden der Jugendwerkstatt fungieren oft als erwachsene Vorbilder für die jungen Leute, die teilweise aus Familien stammen, in denen es an Rückendeckung fehlt: »Angesichts der gemeinsamen Zeit und Erlebnisse der Azubis mit ihren Ausbildern und pädagogischen Fachkräften kann man durchaus von Ersatzfamilie sprechen«, so Gremer. Die Jugendlichen nähmen wohlwollenden Ratschläge, Tipps und auch Kritik der Ausbilder und Pädagogen gerne an. Es herrsche ein respektvolles Miteinander. »Das sind die Voraussetzungen, um Erfolgserlebnisse zu erzielen«, weiß der Einrichtungsleiter. »In gewerblichen Betrieben dagegen fehle dem Personal oft die Zeit, um eine angemessene und förderliche Beziehung zu ihren Auszubildenden aufzubauen, die aber wegen der schwierigen Hintergründe so wichtig ist«.

Benachteiligung abbauen und ein Fundament fürs Leben schaffen

Ziel der Erlanger Jugendwerkstatt ist es, die Benachteiligung dieser jungen Menschen abzubauen. Und das klappt gut: Die Zahl der Abbrecher ist sehr gering, gemessen an den Herausforderungen, denen sie während der Ausbildung begegnen. So haben in den Ausbildungsjahren 2016/2017 und 2017/2018 von den insgesamt 26 Auszubildenden lediglich 3 Auszubildende abgebrochen – entweder, um ihren Schulabschluss nachzuholen oder in einen anderen Beruf zu wechseln. Auch beim neuen Jahrgang ist Wolfgang Gremer sehr zuversichtlich: »Unsere ‚Neuen‘ sind wertvolle junge Menschen, die eine Chance, ihr Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten, mehr als verdient haben. Sie ein kleines Stück auf ihrem Lebensweg begleiten zu dürfen, ist eine schöne Aufgabe«. Der Dienst am Menschen ist ihm und seinem Team als Mitarbeitende der Diakonie ein Herzensanliegen: »Wir versuchen den Jugendlichen mit unserer Arbeit nicht nur ein stabiles Fundament für ihr Leben zu geben, sondern ihnen auch eine Stimme in Gesellschaft und Kirche zu verleihen«.

Hilfe im Leben – Diakonie Erlangen