»Die Sozialwirtschaft hat keine rettenden Cashcows«

Wie verändert die Corona-Krise die soziale Infrastruktur in unserer Stadt? Pfarrer Matthias Ewelt, Vorstand von Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen, zeigt sich besorgt.

Pfarrer Matthias Ewelt ist Vorstandssprecher von Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen. Er sorgt sich, dass die Kosten der Coronakrise zu Lasten der sozialen Infrastruktur gehen.

»Seit Beginn der Krise im März war für uns immer die Frage maßgeblich, wie finden wir Mittel und Wege, Hilfe im Leben auf die Straße und zu den Menschen zu bringen – selbst unter schärfsten Lockdown-Bedingungen«, sagt Vorstand Matthias Ewelt rückblickend auf die letzten Monate. Mit enorm viel Kreativität und Improvisationskraft hätten die Mitarbeitenden der Stadtmission in kürzester Zeit viel verändert und möglich gemacht: Wo Hausbesuche ausfielen, wurden Briefe geschrieben oder Beratungsspaziergänge mit Sicherheitsabstand organisiert. Statt zu persönlichen Gesprächen in den Beratungsbüros, traf man sich mit Klienten*innen via Live-Chat oder per Video-Schalte. In den stationären Wohngruppen der Jugendhilfe sprangen Fachkräfte aus anderen Diensten ein, um mit den Kindern durch die Vormittage und den Lernstoff zu kommen. In den Pflegeheimen wurden die Bewohner*innen mit Rollstühlen an Gartenzäune gerollt, damit sie ihre Lieben, wenn auch mit Abstand, so doch immerhin live treffen konnten. All das sind nur einige Beispiele.

Natürlich sei es positiv, dass die Coronakrise vielen Menschen und auch der Politik bewusst gemacht habe, wie Mitarbeitende aus den Pflege- und Sozialberufen unser Gesellschaftssystem tragen. Doch Ewelt fragt auch: »Wie viel von dieser Erkenntnis wird sich halten?«. Einmalige Boni reichten nicht aus, um die Leistung dieser Menschen zu würdigen. Es brauche ein nachhaltiges Bekenntnis von Politik und Gesellschaft, das sich vor allem in einer auskömmlichen und angemessenen Refinanzierung des Sozial- und Pflegesektors ausdrücke – geschultert durch die Solidargemeinschaft der Steuerzahlenden.

Mehr Geld für ein auskömmliches Pflegesystem

Die letzten, extremen Wochen hätten nochmals alarmierend gezeigt: »Noch dringender als höhere Löhne brauche es mehr Geld im Pflegesystem für Zeit und Zuwendung. Das würde unsere Fachkräfte enorm entlasten«, so der Vorstandssprecher. Dagegen decke die bisherige Finanzierung Personalquoten nur ohne jeden Puffer. Immer wenn Mitarbeitende Urlaub hätten oder krank würden, müssten andere Kollegen*innen diese Ausfälle on top schulten oder die Träger zahlten für Springer drauf, damit die Qualität der Pflege garantiert bleibe, erklärt Ewelt. Eine tatsächlich auskömmliche Finanzierung entlaste nicht nur die Pflegekräfte, sondern käme gleichermaßen den Pflegebedürftigen zu Gute. »Es würde die Branche attraktiver machen.«

Ewelt zeigt sich besorgt, wenn er an die kommenden Monate denkt. »Alle öffentlichen Kostenträger und Zuschussgeber für unsere Dienste signalisieren, dass Gelder zurückgehen könnten, das gespart werden muss.« Weitere Kürzungen träfen nicht nur den diakonischen Verbund der Stadtmission hart. »Man hat sich daran gewöhnt, dass wir als Diakonie aus Eigenmitteln zugeschossen haben, wo unsere Versorgungs- und Hilfeangebote nicht vollständig durch die öffentliche Hand finanziert waren. Doch wir sind druckempfindlicher geworden«, sagt Ewelt. Denn die Krise habe heftige Einschnitte für die Stadtmission, vor allem aber auch für kleinere diakonische Träger verursacht. »Eine zweite Krisenwelle samt Schließungen und Entgelteinbrüchen werden viele nicht überstehen.«

Ewelt stellt klar: »Die Sozialwirtschaft hat keine Cashcows, keine Polster, mit denen Finanzierungslücken geräuschlos ausgeglichen werden könnten.« Die Coronakrise habe eine Sozialkrise im Gepäck. Mehr statt weniger Menschen bräuchten perspektivisch professionelle, soziale Hilfe – sei es in der Armutsprävention, in der sozialpsychiatrischen Arbeit oder in der Kinder- und Jugendhilfe. »Die Politik ist aufgefordert zu steuern und die soziale Versorgung, den sozialen Ausgleich sicherzustellen.« Sparzwänge dürften nicht auf dem Rücken von Hilfebedürftigen ausgetragen werden. »Wir müssen in Zukunft, ganz besonders in Krisenzeiten, verlässliche Hilfe im Leben leisten können.«

Einer der größten Sozialträger der Metropolregion

Der diakonische Verbund von Stadtmission Nürnberg und Diakonie Erlangen beschäftigt knapp 1.900 Mitarbeitende. Mehr als 30 000 Klienten*innen werden jedes Jahr in rund 80 Einrichtungen und Diensten in der Metropolregion versorgt.

Hilfe im Leben – Diakonie Erlangen