Der Markt wird es schon richten, gilt für die Pflege nicht

Im Herbst lud der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen Erlangen Gesprächspartner*innen ein, um darüber zu sprechen, wie die Probleme im Pflegesektor politisch angepackt werden können. Mit dabei waren auch Felix Krauß, Leitung des ambulanten Dienstes der Diakonie Erlangen und Matthias Wölfel, gelernter Krankenpfleger und Leiter der Diakoniestation Süd.

Eine Gruppe von Personen sitzt in einem Stuhlkreis zusammen. Am rechten Bildrand ist ein Roll-Up von Bündnis 90 Die Grünen aufgestellt.

Corona hat die Pflege vor große Herausforderungen gestellt, da waren sich alle Teilnehmenden der Veranstaltung »Beifall zahlt keine Miete« einig. Ebenso, dass die Probleme schon vorher da waren, die Pandemie sie aber besonders sichtbar gemacht habe. Etwa den Fachkräftemangel oder die Arbeitsbedingungen: »Die psychische Belastung der Mitarbeitenden ist derzeit enorm hoch«, berichtete Matthias Wölfel.

Unter den Gästen der Veranstaltung waren auch Mitarbeitende aus stationären Altenpflegeeinrichtungen anderer Träger, die ihre Erfahrungen teilten. Sie kritisierten unter anderem, dass ein Großteil der Angestellten in Pflegeheimen, die die Versorgung der Menschen ebenso wie Pflegekräfte sicherstellten, keinen Bonus für ihren fordernden Einsatz in der Corona-Pandemie erhalten hätten. Darunter viele ungelernte, gering bezahlte Mitarbeitende, die beispielsweise in der Reinigung oder Küche der Pflegeeinrichtung tätig sind.

»Eine höhere Bezahlung allein ist noch keine Lösung«, betonte aber Felix Krauß. Gleichzeitig verschärfe die Pandemie den Personalmangel im Pflegesektor drastisch: Etwa die Hälfte der Mitarbeitenden in Pflegeberufen kommt aus anderen Ländern. Im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes, aber auch um eine Ausbildung in Deutschland zu absolvieren. Ob man durch die globale Krise 2021 überhaupt alle Ausbildungsplätze besetzten könne, sei fraglich, schlussfolgerte er.

Eine sozialpolitische Transformation tut not

Wölfel prangerte an: »Der Markt wird es schon richten, gilt für die Pflege nicht!« Einrichtungen stünden unter starkem Druck seitens der Politik, dass Pflege günstig sein müsse. »Das ganze System ist reformbedürftig«, die Privatisierung müsse gestoppt werden. Eine 35- oder sogar 30-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich schien vielen am Gespräch Beteiligten als zukunftsträchtige Lösung plausibel. Denn auch ohne Pandemie sei ein Pflegeberuf in Vollzeit langfristig kaum zu schaffen.

»Wir sind auf eurer Seite«, betonte Ami Lanzinger, Grüner Experte für Arbeit, Soziales und Gesundheit und Votenträger der Grünen Jugend Bayern für die Bundestagswahl, »mit Gesundheit sollte kein Profit gemacht werden dürfen«. In der Tat seien die Grünen bisher »nicht so sichtbar« beim Thema Pflege gewesen. Klar sei aber auch ihnen, dass es einen Systemwechsel brauche und mehr Geld in den Pflegesektor fließen müsse. »Von den staatlichen Coronahilfen ist ein viel zu kleiner Teil an die Pflege gegangen.«

Kein Stillstand

Zumindest in Hinblick auf die Digitalisierung und eine damit verbundene Zeitersparnis im Pflegealltag zeigte sich Felix Krauß optimistisch. Der Pflegedienst nehme am Förderprogramm der Pflegekassen mit 12.000 Euro teil. »Da tut sich gerade was in der Pflege.«

Auch, was die Kommunalpolitik angeht, darf die Diakonie Hoffnung haben: Krauß‘ Wunsch, als Pflegedienst in der Stadt die Busspuren mitnutzen zu dürfen, um schneller bei den Klienten*innen zu sein, fiel bei den Grünen auf fruchtbaren Boden. Die Fraktion fordert ohnehin eine autofreie Innenstadt – notwendige Fahrten, wie die eines Pflegedienstes, dabei aber ausgenommen.

Hilfe im Leben – Diakonie Erlangen