»Etliche Integrationsgesetze bremsen nicht nur Geflüchtete, sondern unsere ganze Region aus«

15.000 Lehrstellen blieben 2021 in Bayern unbesetzt. Das müsste nicht sein, sagen Integrationsberater*innen der Diakonie Erlangen und kritisieren, dass gesetzliche Hürden wie Beschäftigungsverbote immer wieder verhindern, dass Ge-flüchtete auch in unserer Region in den Arbeitsmarkt und in ein selbstständiges Leben finden.

Im Herbst meldete die Bundesagentur für Arbeit, die Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen hätten weiter zugenommen. 63.000 Ausbildungsstellen wurden 2021 in Deutschland nicht besetzt – allein in Bayern sind es über 15.000. Geflüchtete haben es bei der Suche besonders schwer: Nur etwa ein Drittel der Bewerber*innen mit Fluchtbiografie haben tatsächlich eine Ausbildung begonnen.

Wie schwierig es für geflüchtete Menschen ist, auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, weiß auch Alexandra Bendrich von der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Diakonie Erlangen. »Es ist unser Ziel, dass sie ihr Leben hier selbstständig meistern, aber es werden ihnen viele Steine in den Weg gelegt.« Arbeitgeber*innen bräuchten zum Beispiel mehr Sicherheit, wenn sie Menschen ohne festen Aufenthalt eine Chance geben. Das Problem seien oft nicht die Betriebe, sondern Gesetze, die die Integration ausbremsen. Verbesserungen erhofft sich die Sozialpädagogin von der neuen Regierung.

Rechte und Möglichkeiten sind eingeschränkt

Ein gutes Beispiel ist Mohammed. Schon von Anfang an hatte es der heute 27-Jährige in Deutschland schwer, sowie viele Geflüchtete aus seinem Herkunftsland. Als er 2016 nach Deutschland kam, war die erste Hürde, dass er als Äthiopier kein Recht auf einen Integrationskurs hatte. Aber Mohammed war motiviert und wollte sich umso mehr reinhängen, denn in seiner Heimat herrschen Unruhen und Gewalt; eine Lebensperspektive erkennt er dort nicht mehr, die Hoffnung auf eine gute und sichere Zukunft in Äthiopien, gemeinsam mit seiner Frau hat er verloren.

Immer wieder die gleichen Herausforderungen

Bendrich und Ehrenamtliche des Vereins »Hand in Hand« aus Baiersdorf helfen dem jungen Mann, so gut sie können. Der erste Erfolg war ein Platz in der Berufsintegrationsklasse in Herzogenaurach, den sie ihm vermitteln konnten. Sie kauften ein Sprachbuch zum Lernen, teilten sich die Gebühren für seine anstehende B1-Prüfung, konnten mit ihm gemeinsam einen Praktikums- und dann sogar einen Ausbildungsplatz finden. Denn nach wie vor sind Betriebe in Erlangen und im Landkreis offen, Geflüchtete in die Lehre zu nehmen – nicht zuletzt, weil sie immer wieder gute Erfahrungen mit ihnen machen und dringend ihre Arbeitskraft brauchen.

»Hochbaufacharbeiter« wollte Mohammed sich nach drei Lehrjahren nennen können und bemühte sich nach Kräften. Die praktische Prüfung meisterte er mit links. Aber die fremde Sprache fällt ihm nach wie vor schwer, sodass er durch die theoretische Prüfung rasselte, dreimal in Folge. Erst schien es, als sei die Mühe dennoch nicht umsonst gewesen: «Mein Chef wollte mich weiter beschäftigen und hat mir einen Vertrag zum Hilfsarbeiter angeboten.« Natürlich hätte der 27-Jährige diesen gerne angenommen. Ein Gericht erteilte aufgrund der missglückten Prüfung aber nur eine Duldung – eine »Aussetzung der Abschiebung«. Eine der Folgen war, dass Mohammed nicht mehr arbeiten darf. Sozialpädagogin Alexandra Bendrich betont: »Er wird zur Abhängigkeit gezwungen.«

Eine Chance für alle Seiten

Der junge Mann will aber nicht abhängig von staatlicher Unterstützung und noch dazu untätig sein. »Am liebsten würde ich ganz selbstständig für mich sorgen und keine Last für andere sein«, sagt er. »Mohammed ist ein Musterbeispiel«, betont auch Bendrich, »eine Duldung, wie sie derzeit besteht, ist für niemanden gut.« Gerade in Handwerksbetrieben fehlen Arbeitskräfte und Stellen bleiben unbesetzt. Das, was Mohammed gelernt hat, gilt als »Mangelberuf« und wird landesweit gesucht. Er wird am Bau dringend benötigt. Um ihn doch noch in den Job zu bringen, läuft nun ein Härtefallantrag. Im Herbst hat er die Deutschprüfung abgelegt, die für eine richtige Aufenthaltserlaubnis unerlässlich ist. »Wir haben hier einen motivierten jungen Mann, der tüchtig anpacken kann und will – das ist nicht nur für ihn eine Chance, sondern auch für unser Land.«

Hoffnung in die Ampel

Hoffnung setzt Alexandra Bendrich auch in die neue Bundesregierung: »Der Koalitionsvertrag verspricht einige Neuerungen, die wir aus unserer fachlichen und menschlichen Erfahrung nur befürworten können.« So zum Beispiel das Vorhaben, dass Geduldete in Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, um sowohl den Lehrlingen als auch den Betrieben mehr Sicherheit zu geben. Aber auch, dass jede/r Geflüchtete*r von Anfang an einen Integrationskurs besuchen kann. »Das wäre eine riesige Hilfe, weil gerade die Sprache ja eine Grundvoraussetzung für fast alles im Leben ist«, so Bendrich. Sei es ein Arztbesuch, ein Gespräch mit Nachbarn*innen oder die Suche nach einem Job. Fast genauso wichtig sei es, Arbeitsverbote ganz abzuschaffen. Denn am Arbeitsplatz passiere Integration praktisch von ganz alleine. »Und eigenes Geld zu verdienen ermöglicht erst echte Teilhabe.« Das, was Asylsuchenden gesetzlich an monatlichen Sozialleistungen zusteht, deckt nicht einmal das ab, was als Existenzminimum definiert und als »Hartz IV« bekannt ist.

Besonders häufig und besonders gravierend ist aus Bendrichs Sicht der Status einer Duldung, welcher nicht selten über lange Zeiträume immer wieder verlängert werde. »Da kommt man normalerweise nicht mehr so leicht raus«. Darum begrüßt die Sozialpädagogin das neue »Chancen-Aufenthaltsrecht«, welches an die Stelle von »Kettenduldungen« treten soll: Personen, die zum Stichtag am 1. Januar 2022 bereits seit fünf Jahren in Deutschland leben, sollen laut Koalitionsvertrag eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können. In dieser Zeit müssen sie die Voraussetzungen für ein Bleiberecht erfüllen, z.B. die Sicherung des Lebensunterhalts und den Identitätsnachweis. In bestimmten Ländern, wie Eritrea und Somalia, sei es erfahrungsgemäß aber enorm schwierig, an offizielle Papiere zu kommen, um die eigene Identität nachzuweisen, erklärt Bendrich. Darum befürwortet sie auch das Vorhaben der Regierung, eine Versicherung an Eides statt abgeben zu können, wenn eine Identitätsklärung anders nicht möglich ist.

»Die geplanten Änderungen müssen jetzt rechtlich schleunigst umgesetzt werden«, fordert Alexandra Bendrich, »damit sich endlich konkret etwas an der Situation der Menschen verbessert«. Sie betont auch: »Deutschland ist auf sie angewiesen.« Denn alleine der Bedarf an Arbeitskräften in der Pflege und im Handwerk könne nicht mehr ohne Migration gedeckt werden.

Hilfe im Leben – Diakonie Erlangen